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Reisen 3

[Fortsetzung Reisen]

Die eigentlichen Fernreisen zu fremden Kulturen brachten mich nach Südasien und in die Karibik. 1971, 1977 und 1978 erkundete ich Indien und Ceylon. Mein erstes Flugziel hieß Colombo, die Hauptstadt Ceylons, an der Westküste des heutigen Sri Lanka. Von hier aus fuhr ich mit dem Bus nach Galle, ganz im Süden gelegen, wo ich in einer der zahlreichen, strandnahen Hütten Unterschlupf fand. Als mir Sandstrand und Sonne nach einer Woche zu langweilig wurden, fuhr ich mit dem Bus ins Hochland. Schlagartig veränderte sich das Klima: wolkenverhangene Bergwälder und schwüle Witterung erinnerten mich daran, dass ich mich etwa auf dem siebten nördlichen Breitengrad befand, also mitten in den inneren Tropen.

Hier liegt Kandy, die Hauptstadt des letzten singhalesischen Königreichs. Im Zahntempel wird
eines der größten Heiligtümer des Buddismus aufbewahrt. Diese Reliquie steht im Mittelpunkt des größten Festes auf Sri Lanka, das im Juli stattfindet. Zur Vollmondzeit findet hier ein zehntägiges prunkvolles Fest zu Ehren des Zahn-Buddhas statt. Höhepunkt ist die nächtliche Prozession mit geschmückten Elefanten, Tänzern und Fackelträgern.

Ich wollte wieder trockenere Luft atmen und fuhr weiter an die Nordostküste, nach Triconmalee, wo sich ein paar Taucher und Wellenreiter im Wasser verloren. Zum Glück gab es ein kleines Geschäft, das alle Artikel hatte, die leichtsinnige Touristen brauchen. So wurde abends eine junge, barfüßige Engländerin auf den Stufen zur Bar von einer Natter gebissen. Das richtige Antiserum stand sofort zur Verfügung, da es in dieser Gegend nur eine bissige Natter gäbe. Doch damit nicht genug. Drei Tage später brachte mir ein Surfer, den ich am Abend zuvor kennengelernt hatte, das Wellenreiten bei. Nach zwei Stunden hatte ich die Schnauze und den Magen gestrichen voll. Am Strand liegend beobachtete ich, wie mein Teacher nicht genug kriegen konnte. Plötzlich passierte es: sein Surfbrett wurde in die Höhe geschleudert; er blickte nach oben, und das Gerät schnitt sich mit der scharfen Kante in seinen Hals. Er hat geblutet wie ein Schwein. als ich ihn aus dem Wasser gezogen habe. Instinktiv habe ich seine Halsschlagader gegen sein Schlüsselbein gedrückt und um Hilfe geschrien. Glücklicherweise konnte ihn ein Jeepfahrer ins Krankenhaus von Triconmalee bringen. Am nächsten Tag tauchte er schon wieder auf mit Halsverband: “Fleischwunde; musste genäht werden”, war sein Kommentar.
Keine 24 Stunden vergingen, da kam schon die nächste Hiobsbotschaft: ein Taucher sei in einem Schiffswrack auf dem Meeresboden eingeklemmt worden und ertrunken. Am nächsten Tag verließ ich diesen verfluchten Ort, kehrte nach Kandy zurück, wo ich noch zwei Tage verbrachte und die vier bunten Masken kaufte (siehe Abbildungen oben), und fuhr zum Rückflug nach Colombo. Die ceylonesischen Holzschnitzereien hängen heute noch bei mir in der Wohnung.


Es dauerte sechs Jahre, bis ich Südasien erneut zum Reiseziel erklärte. 1977, nachdem ich beim ersten Versuch das zweite Staatsexamen nicht bestanden hatte, war es höchste Zeit der unbarmherzigen Ellbogengesellschaft den Rücken zu kehren, auszusteigen aus der Fremdbestimmung, mein wirkliches Ich zu suchen und mich selbst zu finden. Von Ashrams in Indien hatte ich schon gehört: durch die Beatles vom Shivananda Ashram in Rishikesh, durch einen orange gekleideten Berliner Sannyasin vom Bhagwan-Ashram in Poona, durch das im Erdkunde-Seminar behandelte Stadtprojekt Auroville vom Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry. Kurzfristig nahm ich einen Flug nach Bombay.
Das heutige Mumbai (Mumpitz!) ist die Hauptstadt des Bundesstaates Maharaschtra. Sie beherbergt die größte Filmindustrie der Welt, jedoch müsste dieses Bollywood heute logischerweise Mollywood heißen. Vom State Transport Terminal gegenüber dem Bahnhof Mumbai Central fahren Überlandbusse in sämtliche Himmelsrichtungen.
Ich wollte in den Süden. Als der Busfahrer in Poona eine Pause einlegte, hatte ich die Erleuchtung: Hier lebte doch Bhagwan Shree Rajneesh! Keine Kontrolle am Ashram-Eingang. Nach einer ersten Inspektion notierte ich mir ein paar Adressen vom Schwarzen Brett und machte mich in der Stadt auf Zimmersuche. Drei Wochen habe ich hier, mitten in den Westghats und mitten in der monsunalen Regenzeit, gelebt. Tagsüber hielt ich mich im Ashram auf, wo man essen und an Selbstfindungs-Workshops [
Encounter, Psychodrama, Gestalt- & Tanztherapie] teilnehmen konnte. Der 1974 eröffnete Betrieb war gut organisiert. Nach dem Mittagessen regnete es ein paar Stunden, dann gab es Abendessen. Von Spiritualität keine Spur, eher eine große Jugendherberge mit Freizeitangebot. Wo war eigentlich der große, bereits mit 21 Jahren erleuchtete Meister?

“Wenn du ihn sehen willst, must du früh aufstehen”, erfuhr ich. Morgens um 6 Uhr - er litt an chronischer Schlaflosigkeit - hielt er eine Pedigt [“Discourse“] mit einer “message”. Er sprach ein gut verständliches Englisch mit indischem Akzent und regelmäßigen Pausen. Wenn er in Form war, kam sein großer Humor zum Vorschein, und er erzählte Witze. Dann fuhr er mit einem seiner [in Rajneeshpuram in Oregon bis zu 93] Rolls Royce wieder zu seiner Villa. Chandra Mohan Jain, so sein bürgerlicher Name, lebte zurückgezogen, weil er neben Diabetes und Rückenproblemen unter Asthma litt. Aus diesem Grund fanden auch Geruchskontrollen statt. Wer nach Seife oder Parfum roch, durfte sich verabschieden. Seine leitenden Angestellten und Leibwächter, die weinrot gekleideten Sannyasins, hatten alles im Griff. Ich griff eines regnerischen Tages meinen Ruckack und fuhr weiter. Ich wollte in den Süden. Aber erneut blieb ich auf halber Strecke hängen. Auf Straßenschildern hatte ich गोंय und गोवा gesehen. “Goṃya” und “Govā” las ich. Das musste Goa, die ehemalige portugiesische Kolonie sein. Und als ich so wanderte am finstern Strand, traf ich doch tatsächlich einen Berliner Freak, den ich vom Tolstefanz kannte. Wegen des einsetzenden Monsuns - es war Mitte Juni - wolle er ein halbes Jahr nach Kathmandu. In der Hauptstadt Nepals, in 1300 m Höhe, sei es trocken und da könne er auch seinen “Shit” [Haschisch-Vorrat] auffrischen. Das leuchtete mir ein. Doch ich wollte, wie immer, unbedingt in den Süden.
Südindien ist für viele Kenner das "echte" Indien. Denn hier hat sich die Jahrtausende alte drawidische Kultur erhalten, während in Nordindien viele Invasoren wie Arier, Perser, Griechen, Mongolen, Sarazenen immer wieder neue Einflüsse mitbrachten. Die meisten Sehenswüdigkeiten Nordindiens stammen aus dem späten Mittelalter, während die Kulturdenkmale des exotischen Südindien von einer viele 1000 Jahre alten Geschichte zeugen. Auch die Gegensätze zwischen arm und reich sind in Südindien längst nicht so krass wie im Norden. Die Bevölkerung hat einen deutlich höheren Bildungsstand und gute Englischkennisse.

Südlich an Goa grenzt der Bundesstaat Karnataka. Mit dem verlausten Bus landete ich mitten in der Nacht in Mangalore, wo ich einen Hindu-Tempel aufsuchte, mich auf den Boden setzte, an die Wand anlehnte und ganz tief meditierte. Doch ich hatte von meinem Freiburger Freund Vargis Chagalagal die Adresse von dessen Eltern. Sie wohnten an der Malabarküste, im Bundesstaat Kerala, zwischen Calicut [Kozhikode] und Cochin. Die Familie begrüßte mich herzlich. Vargis' Mutter verstand ich nicht, ihre Muttersprache war das drawidische Kannada. Doch der Vater sprach fließend Englisch. Wir gingen zum Essen in ein Restaurant, wo wir Hühnchen mit Curryreis bestellten. Fleisch??? Kein Problem: als Christen durften sie das selbstverständlich. Und ich musste keine bösen Blicke ertragen, weil ich zum Essen die falsche Hand benutze, denn wir aßen mit Stäbchen. Normalerweise essen die Inder mit der Hand. Da man sich mit der linken Hand den Hintern abputzt, ist sie unrein und darf zum Essen nicht benutzt werden. Wir unterhielten uns lange. Ich blieb drei Tage, bevor ich in Richtung Mysore, im südlichen Dekkan-Hochland, aufbrach.
Etwa drei Kilometer außerhalb des Stadtzentrums von Mysore erhebt sich der 1062 Meter hohe Chamundi Hill, auf dessen Spitze sich der Sri-Chamundeshwari-Tempel befindet. Dieses Pilgerziel aus dem 12. Jahrhundert wird von einem siebenstöckigen Torturm [“Gopuram”, als Zugang zum Tempel] dominiert. 1000 Stufen führen zu ihm hinauf. Auf halber Höhe steht eine aus dem Felsen geschlageneStatue des Stieres Nandi, dem Reittier Schiwas. In der Nähe findet findet sich auch eine Statue des Dämons Mahischasura. 15 Kilometer nordwestlich der Stadt liegen die Brindavan-Gärten am Fluss Kaveri, unterhalb des Krishna-Raja-Sagar-Staudammes sowie - auf sechs winzigen Inseln im Fluss - das Vogelschutzgebiet Ranganathittu.

Nach drei Tagen begab ich mich über Salem nach Pondicherry in Tamil Nadu, wo ich den Sri Aurobindo Ashram besuchte, der viele Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie mehrere Hotels unterhält, die über die Stadt verteilt sind. Drei Tage lang besuchte ich Veranstaltungen, Filmvorführungen und Lesungen und besichtigte die frankophile Stadt sowie Auroville, wo ökologisch orientierte Menschen aus aller Welt in einer spirituellen Gemeinschaft zusammenleben. An der Koromandelküste entlang erreichte ich nach ein paar Stunden das heiße, Tamil sprechende Madras mit seinem 13 Kilometer langen, stark verschmutzten Strand am Golf von Bengalen. Ich habe den sauberen Elliot's Beach in einem Vorort bevorzugt, wo Pattani Sundal, ein Snack aus gekochten Erbsen, Kokosnussraspeln, rohen Mangostückchen und rotem Chili, garniert mit Senfsamen und Korianderblättern, angeboten wurde. Lecker! In der Stadt, deren Bevölkerungszahl sich seitdem verelffacht (!) hat, repräsentieren drei große Tempel drei verschiedene Glaubensrichtungen.
Der Parthasarathy Kovil, ein sehr beliebter Hindutempel zu Ehren Krishnas, steht im Stadtbezirk Triplicane. Er ist einer der 108 Tirupatis des Wischnuismus. In ihm werden die Gläubigen mit Puliyodarai, einem Gericht aus Reis, Tamarinde, Chili, Nüssen, Sesamöl und verschiedenen Gewürzen, und Thayirsadam Prasadam, einem Gericht aus Sauermilch und Reis, bewirtet. Der Kapaleeshwarar Kovil steht im Stadtbezirk Mylapore und beherbergt das göttliche Ehepaar Schiwa und Parvati. Er ist einer der wichtigsten Tempel des Schiwaismus. Der Ashtalakshmi Kovil steht an der Küste in der Nähe des Besant Nagar Beach. Er ist der Göttin Lakschmi, der Gattin des Gottes Wischnu und Schwester von Schiwa, gewidmet.

Unzählige Rikscha-Opas rannten durch die Stadt und brachten jeden zuverlässig an sein Ziel. An Stelle eines schlechten Gewissens habe ich ein großzügiges Trinkgeld gegeben. Überall saßen unberührbare Mütter mit ihren Kindern auf den Trottoirs und bettelten. Einige hatten als Unterschlupf ein Wellblech oder Kartonpappe auf vier Stöcken befestigt. Hindus geben gerne eine Spende, da sie ihr Karma verbessert und die Chance erhöht, nach der Wiedergeburt in einer höheren Kaste zu landen. Als Kastenangehörige müssen sie dabei allerdings höllisch aufpassen, dass kein Schatten einer Unberührbaren, der sie befleckt, auf sie fällt. Sonst hilft nur eines: sich so schnell wie möglich unter einer Dusche wieder rein zu waschen. Gleichmäßig waren Slumviertel in der Stadt verstreut. Es gab Gassen, auch in anderen größeren Städten, wo mir abends - als Alternative zur Bettelei - für einige Rupien kleine Mädchen zum Sex angeboten wurden. Auch Überreste der Kolonialzeit konnte ich noch ausfindig machen. Als ich im Hauptbahnhof zweieinhalb Stunden auf ein Ticket warten musste, entdeckte ich einen Raum, der mit Büchern bis zur Decke komplett vollgepflastert war. Ich brauchte noch nicht einmal die Frage zu stellen. Ein Bahnbediensteter erklärte mir von sich aus auf Tamil-Englisch: “Die Engländer haben die Buchführung engeführt. Leider haben sie vergessen uns beizubringen, wie man die Bücher wieder los wird.What a joke! Mit dem Ticket in der Tasche legte ich dann die restliche Strecke ausschließlich mit der Bahn zurück. Die erste Fahrt - nach Bangalore - war sehr gewöhnungsbedürftig: völlig überfüllte Vierter-Klasse-Abteile; an Bahnhöfen streckten ständig Kinder und Jugendliche ihre Hände durch die Fenster nach innen; an einen Sitzplatz war nicht zu denken. Nach Überquerung der Ostghats dann in Bangalore die Belohnung: eine faszinierende Aufführung einer Bharatanatyam-Tanzgruppe. Die Tänzerinnen standen minutenlang ohne den geringsten Wackler auf einem Bein, bewegten schlangenartig ihre Arme, verzogen ihre Gesichtsmuskeln zu einem rituellen Lächern, kreisen ihre Pupillen im 180°-Winkel in sämtliche Richtungen, verschoben horizontal ihren Kopf um mehrere Dezimeter ohne ihn abzuknicken und synchronisierten ihre Bewegungen mit der Musik und den Kolleginnen. Für mich eine Sensation, total professionell, Weltklasse. Auf der Strecke nach Hyderabad stieg ich unterwegs in einer Ortschaft aus, um einmal abseits jeglicher Touristenströme den ländlichen Raum auf mich einwirken zu lassen. Ich lernte ein typisches indisches Großdorf mit mehreren tausend Einwohnern und einer traditionellen Kastenstruktur kennen. Statt geteerter Straßen und Hochäuser breite, matschige Wege und einfache Wellblechhütten, gelegentlich zweistöckige Häuser mit Flachdach. Überall wurden Kuhfladen getrocknet und zum Heizen oder als Verputz und Isoliermaterial verwendet. Wasser aus dem Dorfbrunnen habe ich nicht getrunken, sondern mir, wie immer, eine originalverschlossene Flasche fabrikmäßig hergestelltes Trinkwasser gekauft. Wo die Unberührbaren wohnten, fragte ich ein paar Kinder. Sie zeigten mir den Weg. Die Baracken befanden sich außerhalb des Dorfes, wo ein eigener Brunnen angelegt war. Selbstverständlich hatte ich keinerlei Berührungsängste und kam mit ein paar Jugendlichen ins Gespräch. Ich vermeide es in solchen Kennenlernphasen irgendetwas Wesentliches anzusprechen, wie: “Gehört ihr einer Kaste an oder seid ihr Kastenlose?” Man erfährt auch bei banalen Gesprächen einiges, wenn man seine Augen und Ohren aufmacht. Als erstes viel mir ein hübsches Gesicht auf. Ob es aber einem Jungen oder Mädchen gehörte, war mir schleierhaft. “It is a hermaphrodite”, sagte einer. Ein unberührbarer Zwitter? Kurios! Cool erklärte er/sie mir, warum sie/er ein Zwitter sei. Um Peinlichkeiten zu vermeiden, glaubte ich ihm/ihr. Die Bevölkerung betrachtete sie/ihn als Halbgott; deshalb musste er/sie auch nicht arbeiten. Unberührbare reinigen Toiletten und Straßen, beseitigen den Müll und durchwühlen Mülldeponien nach Gebrauchsgegenständen, was ich auch hier feststellen konnte. Häufig sind sie Landlose, die sich als Tagelöhner oder Saisonarbeiter verdingen. Die indischen Gesetze sind nicht einmal das Papier wert, auf das sie gedruckt werden. Als die Bodenreformen in einigen Bundesstaaten eine Höchstgrenze für den Landbesitz vorschrieben, haben die Großgrundbesitzer ihre Ländereien formal an lebende oder bereits verstorbene Verwandte überschreiben lassen, und die dichotomische Welt von arm und reich war wieder intakt. Auf den Feldern habe ich Hirse, Zuckerrohr und Erdnüsse entdeckt. Hirse ist das Grundnahrungsmittel im Landesinnern. Weit und breit keine Traktoren. Ich konnte zwei Kühe, die einen Pflug zogen, einen Schöpfbrunnen und eine Saftpresse ausfindig machen. Aus den Zuckerrohrstangen wird z.T. auf den Feldern der Saft ausgepresst und getrunken. Der Boden ist sehr fruchtbar. Das merkte man sofort. Er entstand auf mächtigen Lavadecken, die das gesamte Hochland bedecken. Eine moderne, maschinisierte Landwirtschaft mit Familienbetrieben könnte hier auch ohne Chemikalien das Fünffache produzieren.

Am folgenden Tag war Wochenmatschmarkt im Dorf. Jeder, der etwas Transportierbares hatte, breitete eine Decke auf dem monsunregenwasserdurchtränkten Boden aus, und legte seine Waren darauf. Da außer mir kein Fernreisender in der Nähe war, war ich praktisch der einzige potentielle Käufer. Entsprechend wurde ich umworben. Es gefiel mir hier und so blieb ich ein paar Tage. Der Zwitter und seine Kumpel luden mich ein, mit ihnen in einen Nachbarort zu fahren, wo ein Fest stattfand. Wir erlebten eine Prozession mit geschmückten und bemalten Hindus, die feierlich Plakate und Figuren ihrer Götter durch die Straßen trugen. Der Hinduismus ist ja eine pantheistische Religion. Das bedeutet, das jede Ortschaft ihre eigenen Götter hat. Insbesondere Ganesch- und Hanuman-Abarten waren in ländlichen Gegenden sehr beliebt (siehe Foto oben). Dann wollte ich jedoch weiter nach Hyderabad im Bundesstaat Andhra Pradesh zum Shoppen. Das übrig gebliebene Bündel Rupien-Scheine reichte für einige Seidentücher, Broncefiguren und eine Schachtel Beedies, dünne olivgrüne, von Kinderhand zusammengerollte und mit einem Faden zusammengebundene Zigaretten. Dabei fiel mir vor dem Laden ein Inder mit Sonnenschirm und Besen auf. “Ein Jaina”, sagte der Verkäufer. Ich fragte ihn, wozu er den Besen benötigte. “Mit dem Sonnenschirm schützt er sich vor dem Schatten von Unberührbaren und mit dem Besen verhindert er, dass er seine eigene Großmutter tot tritt.” Hatte ich richtig verstanden oder hatte ich einen Sonnenstich? “I don't understand,” sagte ich gedankenverloren. “Hindus glauben, dass Verstorbene als Tiere wiedergeboren werden können”, erklärte er mir. “Wenn also seine Großmutter längst gestorben ist, kann sie mittlerweile als kleiner Käfer wiedergeboren worden sein.” Einleuchtend, allerdings kommen die Jainas auf diese Art und Weise wohl nur sehr langsam voran. Ich war schneller: auf der Post schnürte ich ein großes Paket und schickte es als Schiffsfracht nach Deutschland. Zwei Wochen, nachdem ich wieder in Berlin war, bekam ich eine Benachrichtigung von der Deutschen Post ...

Bei meiner letzten Bahnetappe näherte sich der Zug nach 9 ½ Wochen nachmittags der Agglomeration Bombay, als wenige Meter neben den Schienen die ersten Blech-, Holz- und Papphütten auftauchten.
Jeden Tag strömen Hunderte Menschen aus dem Hinterland des Bundesstaates Maharaschtra nach Bombay, um dem Elend ihrer Dörfer zu entkommen. Einige finden Arbeit und eine Unterkunft, die meisten jedoch enden auf den überfüllten Straßen oder leben in Armut und Elend im
Slumgürtel am Rande der Stadt. Unterernährung, Hunger, mangelnde Müll-, Abwasser- und Fäkalien-Entsorgung sowie unzureichende Wasserversorgung führen zu hoher Säuglingssterblichkeit und zum Ausbruch von Tuberkulose, Lepra und Malaria. In einer Hütte leben 15 bis 20 Personen. Gearbeitet wird täglich 14 Stunden und sieben Tage in der Woche für umgerechnet einen Euro pro Tag. Kriminalität, Prostitution und Alkoholismus sind trauriger Alltag. Slumbewohner leben unter der ständigen Drohung verjagt zu werden. Die normale städtische Infrastruktur, wie elektrischer Strom und Trinkwasser, wird ihnen verweigert. Die jährlichen Überschwemmungen aufgrund des Monsunregens treffen die Slumbewohner besonders hart.
Mit diesen unschönen Erinnerungen trat ich nach den Heimflug an. Doch ein Jahr später, 1978 - ich hatte inzwischen meine zweite Examensprüfung bestanden, war Sozialhilfeempfänger und wartete auf meine Einstellung nach den Sommerferien, war ich wieder so weit: ein zweiter Ceylon-Flug war fällig: wieder nach Colombo, mit dem Bus in den Süden, wieder Langeweile am Strand. Da passierte es! Schon eine Zeitlang beobachtete ich einen Kiffer. Total zugedröhnt stand er auf und ging ins flache Wasser, immer weiter. Das Wasser stand ihm bis zum Hals. Niemand bemerkte ihn. Dann war er weg. Ich raste ins Wasser, kraulte so schnell ich konnte zu ihm hin, zog in an die Wasseroberfläche und aus dem Wasser. In der Aufregung war ich mir nicht mehr sicher: erst Herzmassage oder Mund-zu-Mund-Beatmung? Wo soll ich den Puls fühlen? In diesem Augenblick schoben mich zwei deutsche Assistenzärzte aus Heidelberg zur Seite und machten sich professionell an die Wiederbelebung. Ein Schwall Salzwasser schoss aus dem Mund des Lebensmüden. Dann holte einer von beiden den Jeep, mit dem sie ihn zum nächsten Notarzt fuhren. Ich habe nie erfahren, was aus ihm geworden ist. Das lag auch daran, dass mich am nächsten Tag das Hochland wieder magisch anzog. Mit dem Bus fuhr ich wieder bis Kandy. Von hier aus wollte ich es einmal mit Autostop versuchen. So wanderte ich gemächlich an den Teeplantagen vorbei, als es schon wieder passierte. Urplötzlich. Ohne Ankündigung.

Etwa 100 Meter vor mir scharen sich einige Ceylonesen um ein Auto. Als ich mich auf etwa 50 Meter genähert hatte, riefen einige Jungen etwas in meine Richtung und gaben mir Zeichen mich zu beeilen. Eine Fahrgelegenheit! Da fragt man nicht zweimal. Je näher ich kam, desto länger wurde das Auto: eine Stretchlimousine. Kam mir bekannt vor. Nüscht wie rin! Ein Chauffeur und ein Priester begrüßten mich. Es war 11 Uhr. Wir fuhren ein halbe Stunde durch die Gegend. Dann hielt der Chauffeur an: Mittagessen - aber nur für den Priester. Nickknattertonmäßig kombinierte ich: wenn er nach den Regeln Buddhas lebt, darf er nach 12 Uhr Mittag nichts mehr essen. Wir fuhren weiter, stundenlang. Er besuchte ausgewählte Familien, wo es für ihn Tee mit viel Zucker und für den Chauffeur und mich vegetarische Spezialitäten gab. Gegen Abend fragte er mich, ob ich mit in sein Kloster kommen wolle, wo ich übernachten könne. Nichts sprach dagegen. Ich willigte ein und lebte von dieser Nacht an 9 ½ Wochen in einem buddhistischen Kloster in Colombo. Der junge, vielleicht 28-jährige Meister war der Oberprister der Insel. Jeden Vormittag brachte ihm eine andere Familie kannenweise das Essen für ihn, seine zwei Schüler und mich. Ab 12 Uhr Mittag standen dann ein paar Bettler am Klosterzaun, die die Reste erhielten. Der Meister erkärte mir: Prister, Lehrer und Ärzte seien gleichberechtigt. Ich könne mich also im Kloster frei bewegen. Ich fing an mit Asanas, Pranayama und Tantra-Meditation. Nach zweieinhalb Wochen wäre ich bereit gewesen für die Initiation. Doch es kam anders. Zuerst bemerkte ich, dass mein Gastgeber stink faul war und nachmittags einen Tee nach dem andern trank, in dem er tonnenweise Zucker verrührte. Dann wollte er wissen, was ich für merkwürdige Übungen machte. Er hatte weder von Körperhaltungen, noch von Atemtechnik, noch von Meditation irgendeine Ahnung. Seine Schüler behandelte er wie Sklaven; das war mein erster Eindruck. Dann stellte ich jedoch fest, dass er an ihnen herumfummelte. Er war nicht nur schwul, er war auch noch ein Päderast. Und seine Schüler mussten tun, was er sagte, das hatten ihnen ihre Eltern befohlen. Ich hatte aber damals wie heute die Einstellung, dass es keinen Sinn hat, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen. Und mein Schicksal war es, diese Missstände mit zu erleben. Immer häufiger verließ ich das Kloster zu Streifzügen, bis es für mich praktisch nur noch eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit darstellte. Einmal gab es einen sexuellen Annäherungsversuch von ihm, den ich aber unzweideutig abwimmelte. Von da an hatte ich meine Ruhe. Nach sechseinhalb Wochen fielen mir die verwahrlosten Räumlichkeiten auf. Die Dusche funktionierte nicht und Wasser kam nur sehr spärlich aus der Leitung. Eine Woche später erklärte er mir, er müsse auf eine zweiwöchige Tournee und ich sei in dieser Zeit der Hausherr im Kloster. Danke schön, aber ich war innerlich schon dabei, mich vom Klosterleben zu lösen. Hinzu kam ein Geschwür, das immer schlimmer, statt besser wurde. Ich besorgte mir das Rückflugticket, fuhr tagsüber nach Kandy oder an den Strand und übernachtete im Kloster, bis er wieder da war. Am selben Tag noch verabschiedete ich mich. Er versicherte mir, ich könne jederzeit ins Kloster zurückkehren. Und wenn ich wieder käme, müsse ich ihm Yoga beibringen, er wolle nämlich abnehmen. Ich gab ihm noch den Tipp, den ganzen Zucker nicht in den Tee, sondern ins Klo zu kippen und sah in dann nie wieder.

Zu Hause angekommen, war das Geschwür mit Betaisodonas Hilfe nach wenigen Tagen verschwunden.
Ein Jahr später, 1979, wollte Freya unbedingt in die Karibik. Der Flug von London aus mit Zwischenstation in St. John's auf der kanadischen Insel Neufundland endete in Miami, der südlichsten Großstadt Floridas.
Bedingt durch die Nähe zu den Herstellungsländern und den Massentourismus entwickelte sie sich gerade zum größten Umschlagsplatz für Drogen aus Kolumbien, Bolivien, Ecuador und Peru. Die Drogenbarone brachten Milliarden US-Dollars nach Miami, wo das Geld durch Investitionen in Bauvorhaben schnell gewaschen werden konnte.
Nachdem ich nachts allein noch in einer Bar am Stadtrand gelandet war, fuhren wir am folgendenTag in die City, um uns in einem Reisebüro ein Flugticket zum Inselhüpfen zu besorgen. Die Flüge gingen im Stundentakt, so dass wir sehr schnell wieder im Flugzeug saßen. Wir machten einen großen Bogen um das kommunistische Kuba und landeten in Montego Bay auf Jamaika, der drittgrößten Insel der Großen Antillen. Die feine Dame [Freya] suchte sich sofort das teuerste Restaurant aus. Der Fisch hat gut geschmeckt, der Planter's Punch noch besser. Meine weiteren Erinnerungen sind bruchstückhaft und verschwommen (siehe Foto).

An Sandstränden wie an felsigen Ufern bestanden zahllose Bademöglichkeiten. Am interessantesten war für uns die Nordküste. In Negril mit seinem elf Kilometer langen Sandstrand trafen sich Hippies bei Rick's Cafe, wo sich abends Wagemutige, zu denen ich nicht gehörte, von den Felsklippen ins Meer stürzten. In Ocho Rios besichtigten wir die Dunn's River Falls genannten, etwas mickrigen Wasserfälle. Da Rafting erst später aufkam, begnügten wir uns mit einer Flussfahrt auf einem schmalen Floß an Marihuana-Feldern vorbei (siehe Foto). Eine wacklige Angelegenheit, zumal der Flößer bekifft war. Bei Port Antonio schließlich bestaunten wir die Blaue Lagune. Fasziniert war ich von der exotischen Mischung aus Filzlocken, Marihuana-Nebel und dröhnend lauter Musik an allen Ecken und Enden.

In den 1930er Jahren entstandauf der Insel unter den Nachkommen afrikanischer Sklaven der Rastafari-Kult. Die Anhänger sehen im ehemaligen äthiopischen Kaiser Haile Selassie, von dessen Geburtsname Ras Tafari sich ihre Bezeichnung ableitet, den neuen Messias. Sie kiffen Ganja, tragen Dreadlocks und hören Reggae, der durch den Film “The harder they come” mit Jimmy Cliff [“You can get it if you really want”] seinen weltweiten Siegeszug antrat, bevor Bob Marley weltberühmt wurde.
Ein Rastaman erklärte mir: “Jamaika besteht aus zwei Welten. Wir Rastafaris leben am liebsten im Hochland von Fisch und Bananen. Viel mehr brauchen wir nicht. Die Küstenregionen sind das sündige Babylon, wo der amerikanische Dollar regiert.” Wo er recht hat ... Wir mussten zur verruchten Hauptstadt Kingston, wenn wir weiterfliegen wollten. Auf gar keinen Fall sollten wir aber abends in die Innenstadt gehen. Das sei für Weiße viel zu gefährlich. Daran hielten wir uns. Wir bekamen einen Flug nach Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti im westlichen Teil der Insel Hispaniola.

Haiti hatte als eines der ärmsten Länder der Welt, eine durchschnittliche Lebenserwartung von 50 Jahren, eine 10%-ige Säuglings- und 15%-ige Kindersterblichkeit, eine Arbeitslosenquote von 50% sowie eine Analphabetenrate von etwa 60%. In den Jahrzehnten nach der Entdeckung der Insel Hispaniola durch Christoph Columbus im Jahr 1492 wurde die indigene Urbevölkerung, die Arawaks und Tainos, fast vollständig ausgerottet. Im späten 17. Jahrhundert wurde die Insel durch afrikanische Sklaven wiederbevölkert, die auf den Zuckerplantagen eingesetzt wurden. Die ehemals französische Kolonie hatte während des größten Teils seiner Geschichte unter Gewaltherrschern und Kleptokraten zu leiden. 1957 riss der Landarzt Francois „Papa Doc“ Duvalier die Macht an sich. Als Diktator installierte er die Tontons Macoutes, eine Mischung aus Geheimpolizei und Schlägertruppe. Sein Sohn Jean-Claude folgte ihm 1971 als Alleinherrscher im Alter von 19 Jahren. „Baby Doc“ wurde 1986 aus dem Land vertrieben.
Die politischen und sozialen Verhältnisse interessierten Freya wenig. Sie war scharf auf die bunten Gemälde aus Öl und Acrylfarben, die so ziemlich an jeder Ecke hingen. Ein ganzes Bündel mit zusammengerollten Bilder nativ-naiver haitianischer Maler durfte ich fortan durch die Gegend schleppen (siehe Foto unten). Gut, dass überall Berge von unreifen Kokosnüssen herumlagen. Mit seiner Machete hat der Verkäufer die Frucht aufgeschnitten, so dass man mit dem kühlen, wässrigen Saft seinen Durst löschen konnte. Anschließend konnte man mit der abgeschlagenen kleinen Schale das glasige Fruchtfleisch herausschaben. Unser preiswertes, aber vergammeltes Hotel stand direkt am zentralen Platz der Hauptstadt. Vom Balkon im zweiten Stock konnte man gut das Treiben der Einheimischen beobachten. Ein vielleicht 11-jähriger Junge schaute ständig herauf zu mir. Wenn ich den Blick erwiederte, fing er an zu turnen. Nach zehn oder zwölf Handstützüberschlägen ging ich zu ihm. Nicht, dass ich ebenfalls meine turnerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte. Nein, ich ging mit ihm zur Hauptgeschäftsstraße, wo seine Lumpen, die er am Körper trug, durch neue Klamotten ersetzt wurden. Und wieder hatte ich ein gutes Werk getan! Dachte ich jedenfalls.

Am nächsten Morgen wurde ich eines Besseren belehrt. Als ich auf dem Balkon frühstücken wollte, war er schon da. In seinen alten Lumpen überschlug er sich wieder. Ich wollte von ihm wissen, warum er nicht seine neuen Kleidungsstücke trage. “Die habe ich verkauft,” antwortete er mit seinem üblichen breiten Grinsen im Gesicht. Ich war sprachlos, er glücklich. Er hatte Geld nach Hause gebracht. Da begriff ich, dass Lebensmittel für ihn und seine Familie wichtiger waren als neue Kleider. Ich gab ihm noch ein paar US-Dollar, bevor wir nach Cap-Haitien fuhren.
Unterwegs fanden wir ein einzelnes Hotel zum Übernachten. Freya hatte Kopfschmerzen und legte sich nach dem Abendessen ins Bett. Ich setzte mich draußen im Dunkeln auf eine Treppe und überlegte, was sie für Probleme hatte. Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen linken Oberschenkel. In der Dunkelheit sah ich ihr schwarzes Gesicht nicht. Aber bald war klar, dass sie mir den Geschlechtsverkehr anbot. Ich erzählte ihr, dass ich mit Freundin hier sei. “No problem,” antortete sie und zog mich ein paar Meter weiter in ein Gebüsch. Tja, nun war es zu spät, nein zu sagen. Nachdem ich sie flach- und mich auf ihren dicken Bauch gelegt hatte, wunderte sie sich, dass es so schnell gegangen sei. 

Ich erklärte ihr, dass es sich um ein “Quicky” gehandelt hätte. Damit war sie noch nicht ganz zufrieden. Sie musste Geld verdienen und sparen für ihr sieben Monate altes, ungeborenes Baby. Mit fünf US-Dollar war sie einverstanden. Ja, Haiti war ein sehr preiswertes Land - in jeder Beziehung. 

 
   
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